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#1

Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 03.01.2012 17:45
von WSW • 1.034 Beiträge

Also ich hab jetzt überlegt, ob ich diesen Beitrag bei den Silvesterkrachern anhängen soll, aber es ist ja schon wieder ein neuer Kracher....

Wie angekündigt bin ich heute zum Henzing rüber, sehr zeitig schon, denn es hatte bereits 7°C am Vormittag.
So präsentiert sich der Henzing bei der Anfahrt durchs Hinterland vom östlichen Vorgelände des Rindfleischbergs aus:



Mit dem 100er Makro bringt man halt nicht alles drauf, weiter rechts unten wäre die Donau mit dem Stauraum Melk, rechts hinten das Stift Melk. Rechts unten am Rand des Waldes ist der rufus-Platz und ziemlich genau in der Mitte liegt der Chorthippus-Hang.

Bei den Böschungen unter dem Wald im Ackergelände kam auch der Ornithologe in mir auf seine Rechnung:



Schade, dass man mit dem Auto nicht näher als 70m an den Raubwürger rankam. Andererseits ein Wunder, was man mit den heutigen Fotoausrüstungen noch schafft. Man erkennt sogar das (bedeutende) Ausmaß der Schnabelaufhellung bei diesem Exemplar, obwohl das Bild gewaltig rauscht, weil ich noch die 1600 ISO vom letzten Möwenring-Fotografieren eingestellt hatte.

Um es kurz zu machen: Von den 5 Silvesterfeierern war nur mehr das vitale mollis-Weibchen am Leben. Die beiden rufus-Weibchen waren trotz aller Bemühungen ebenso wenig aufzustöbern wie die beiden biguttulus (bzw. Kandidatin) unten am Weg.



Ich bin beim Rückweg nocheinmal durch den rufus-Platz und wirklich! Beim allerletzten Grasbüschel krabbelt noch ein neues Weibchen heraus. Damit der alleinige Rekord auf meiner Seite !



Faszinierend, wie die einzelnen Tiere immer wieder perfekt an ihren jeweiligen kleinräumigen Aufenthaltsort farblich angepasst sind. Dieses Individuum passt z.B. bestens zu den rotbraunen Kiefernnadeln und zu den rötlichen Quarzkieseln. Der Efeufresser letztens mit seiner eintönig braunen Farbe zum Eichenlaub. Der hell längsgestreifte zu seinem dürren Grasbüschel.

Und das war der Höhepunkt und gleichzeitig das Ende des Henzings als Heuschrecken-Phänologie-Paradies. Ich beschloss jetzt nämlich angesichts der Wetterprognose einerseits das Ende der alten Heuschreckensaison und andererseits die Weiterfahrt nach Roggendorf.

Ich kam noch vor Mittag bei der Sandwand westlich Roggendorf an, wo ich im Herbst die Mönchs-Raupen gesucht und gefunden hatte. Ich hatte keine 5 Meter der Wand abgesucht, da flog mir schon das 1. mollis-Mandl vor die Füße!! Und gleich war der nächste da:



Und dann hörte ich den ersten Gesang, trotz Wind und Autobahnlärm! An einer Stelle gab es Gruppengesang von mind. 3 Männchen, die auch eifrig Weibchen anbalzten. Also doch noch Neujahrskonzert der Heuschrecken, wenn auch etwas verspätet .
Insgesamt vernahm ich an die 10 Sänger, vielleicht wären es 1, 2 Stunden später noch mehr gewesen.
Wie ich an der Wand weiter marschiere, vernehme ich plötzlich brunneus-Gesang!! Leider kann ich das Männchen nicht entdecken, doch fliegt plötzlich vor mir etwas Großes auf und mit dem Wind gleich 15m in den Acker. Zum Glück kann ich das Tier wieder entdecken. Also dieses langflügelige Chorthippus-Monster ist ganz sicher eine brunneus-Dame!



Ich bin dann rauf zum Wald, dort, wo der gute vagans-Platz war. Leider waren die alle tot, auch keine Waldgrillen zu finden. Etwas füher wäre da bestimmt auch ein Rekord zu holen gewesen.
Am Steilhang darunter neben einem Paar mollis dann dieser fesche rufus-Herr:



Unglaublich - bereits die 3. Art am 3. Jänner!

biguttulus hab ich leider keinen finden können. Aber als ich dann einen singenden mollis knipsen möchte, höre ich neben mir plötzlich wieder diese rrrt rrrt rrrt-Töne. Wieder ein brunneus, der sich diesmal sogar knipsen lässt!



Scheint noch in bester Kondition zu sein! Singende mollis zu knipsen war allerdings fast unmöglich, da die Viecher durch die bodennahe Stauwärme extrem mobil und schreckhaft waren. Hier noch ein Belegbild, damit man sich über mitteleuropäischen Heuschreckengesang im Jänner eine Vorstellung machen kann:



So wie die aussehen, kann das noch eine Zeit so weitergehen. Man weiß eigentlich nicht, ob man sich da noch freuen soll? Kennzeichen eines eindeutigen Klimawinters jedenfalls. Aber wer weiß, was dort 2006/07 alles gelaufen ist. Gegen Roggendorf ist der Henzing ja eine humide Gegend.

Bis zum nächsten frühlingshaften Wintertag!
Wolfgang


zuletzt bearbeitet 03.01.2012 17:49 | nach oben springen

#2

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 03.01.2012 18:07
von hospiton • 2.720 Beiträge

Hallo Wolfgang!

Weiterhin sprachlos verfolge ich Deine Berichte, aber das ist die ausgleichende Gerechtigkeit, wenn Du im Frühsommer oder Sommer schreibst:

Zitat
"...mit diesen Phänologierekorden bzw. Arteninventar kann ich da im Bezirk Melk nicht aufwarten..."


Ausserdem plädiere ich im Angesicht der Sachlage unseren Beitrag "(Erste adulte) Heuschrecken und Grillen 2012 - "Live-Ticker" dem astronomischen Jahresbeginn bei 0° Sonnenelongation, also am 21. 3. zu starten, dieser "hausgemachte" Jahresbeginn 1.1. störte mich schon seit der Pubertät....!

Lg

Werner


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#3

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 04.01.2012 08:48
von WSW • 1.034 Beiträge

Unglaublich, Werner, was du da aus den Tiefen des Forums immer wieder hervorzauberst!
Bin übrigens selber vor Ort auch immer wieder sprachlos (nicht nur, weil ich meine Exkursionen aus Mangel an Gleichgesinnten fast immer alleine machen muss)...

Aber bei der Verlegung des Neujahrsbeginns warne ich dich: Wer weiß, ob das heuer ausreicht !

LG Wolfgang

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#4

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 04.01.2012 11:20
von hospiton • 2.720 Beiträge

Zitat von WSW
Unglaublich, Werner, was du da aus den Tiefen des Forums immer wieder hervorzauberst!

..muss gestehen, das war kein hervorzaubern und kein Originialzitat, das waren nur so sinngemäße Aussagen von Dir, die mir in Erinnerung geblieben sind! Und:

Zitat von WSW
Aber bei der Verlegung des Neujahrsbeginns warne ich dich: Wer weiß, ob das heuer ausreicht !

Nachdem Dich "Deine" Tiere ja inzwischen schon beim Namen kennen müssen, fragst Du halt, ob sie von 2011 sind!

LG

Werner


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#5

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 05.01.2012 21:45
von Thomas Z-K • 738 Beiträge

Lieber Wolfgang!
Gut geplant und hart erarbeitet - diese Spitzenphänologierekorde sind Deiner würdig - Gratuliere! Nach längerer Forums-Pause bin ich sehr veblüfft, was sich da angestaut hat, danke für die wieder sehr lebensnahen Schilderungen!
Und uns allen wünsch ich wieder ein heuschreckliches 2012!
Thomas

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#6

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 11.01.2012 17:35
von WSW • 1.034 Beiträge

Nach Tagen mit feuchtkühlem Wetter schien heute wieder der Moment gekommen, um in Roggendorf nach dem Rechten zu sehen. Gesamthaft hat mir dann dort doch das Wetter irgendwie einen Streich gespielt, am Ende wurde aus den angekündigten Wolkenfeldern eine geschlossene Wolkendecke.

Bei meinem Eintreffen schien allerdings bei +7°C noch die Sonne, leider wehte ziemlich starker Westwind. Trotzdem konnte ich am besten Platz 2 Männchen von Chorthippus mollis hören! Damit konnte ich das Eichkogel-Datum von 2006 um einen Tag "ausbremsen" .
Gesamt schaffte ich heute 5 Männchen und 4 Weibchen von Ch. mollis. Gerne hätte ich einen Ch. brunneus oder G. rufus gefunden, es gelang mir aber nicht (da hätte ich dann vielleicht sogar für ein paper überlegt ). Dafür hüpfte dann am vagans-Platz doch noch eine adulte Waldgrille auf - immerhin.

Ich habe die bodennahe Temperatur am mollis-Platz bei Sonnenschein gemessen, und trotz des kühlenden Westwinds kletterte die schnell auf 20,4°C! Man kann sich vorstellen, was dort bei Windstelle passieren würde, wohl über 30°C...
So erklärt sich auch, wie die Chorthippen dort über die Runden kommen. In den dichten Grasbüscheln hält sich die warme Luft wohl weit in die Nacht hinein. Und der steile Sandboden nimmt sicher auch die geringste Strahlungsenergie auf.

Der bessere Tag könnte morgen kommen, mal sehen, ob ich mich dann um halb eins noch aufraffen kann, wieder dorthin zu düsen, ein brunneus am 12.1. würde mich schon reizen. Andererseits, diese nasskalte Witterung machte den Tieren wohl mehr zu schaffen, als ein trockener Nachtfrost.

Es soll an dem Wochenende nun doch kälter werden. Da wird es dann auch den letzten Chorthippen in Roggendorf an den Kragen gehen. Ich werde also im April die Viecher nicht mehr befragen müssen, ob sie von 2011 sind .

VG Wolfgang

Angefügte Bilder:
mollis.jpg
nemobius.jpg
roggendorf.jpg
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#7

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 12.01.2012 10:30
von Thomas Z-K • 738 Beiträge

Lieber Wolfgang!

Super die stetige Kontrolle - ich hätte trotz der milden Witterung nicht damit gerechnet. Interessant dazu eine Beobachtung von Dominik & Christopher Rabl, denen ja damals (2007) der März-Fund des Chorthippus mollis bei Rohrendorf bei Krems gelang: Sie schreiben, dass am 30.12.2011 jeweils etwa 10 Chorthippus mollis und brunneus am Höhereck bei Oberloiben in der Wachau anzutreffen waren! Also auch in der Wachau noch einzelne Wärmeinseln, wo sich Nachsuchen lohnen würden.

Liebe Grüße
Thomas

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#8

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 12.01.2012 16:34
von WSW • 1.034 Beiträge

Aha - den Christopher gibt´s auch noch! Ich weiß gar nicht mehr genau, wie er ausschaut, obwohl er schon einmal bei mir war ...

Mit ein Grund, warum ich bis zuletzt dranblieb. Nein im Ernst, Heuschrecken zu Silvester oder gar im Jänner, das ist fast schon esoterisch .

Also ich bin heute noch einmal nach Roggendorf. Und genau bei meiner Ankunft zogen dünne Schleierwolken vor die Sonne, immens unguter Westwind tat das übrige. Ich fand bei einem ersten Durchgang nur 1 mollis-Weibchen. Beim Zurückgehen kamen dann doch noch ein paar mollis dazu, ich fing an, konzentrierter zu suchen, die Sonne schien auch wieder stärker und: weiter vorne am Hang fand ich an einem kleinen, bislang kaum kontrollierten, geschützteren Plätzchen doch tatsächlich noch 2 vitale rufus-Weibchen! Incredibile!!

Insgesamt wurden es außerdem noch 10M+8W mollis sowie 1W Waldgrille, macht 21 Heuschrecken am 12.1.
Ch. brunneus war leider keiner aufzutreiben, durch den Wind gab es heute keinen Gesang.

So sieht der Bereich mit den meisten Ch. mollis aus:


Die rufus waren weiter vorne um die Ecke, da ging komischerweise weniger Wind.


Ausgerechnet heute konnte ich erstmals einen schönen grünen mollis finden:


2 Beispiele für graue unscheinbare, damit dort bestens getarnte mollis:




Und hier noch ein vermurkstes Bild von einem sehr langflügeligen Exemplar. Trotzdem kein brunneus, da passen die Proportionen einfach nicht.


Interessant, wie variabel der mollis in der Flügellänge ist.
Man beachte die Unversehrtheit der Flügel mancher Individuen, die hätten durchaus Überwinterungspotential! Keine Frage, dass gerade in der Kremser Gegend eigentlich auch noch Heuschrecken leben sollten. Die Wachau selbst hab ich weniger auf der Karte, in dem Engtal ist das Klima rauer, es sammelt sich Kaltluft. Aber weiter oben, wie eben am Höhereck, ist natürlich auch was möglich.
Aber das ist nun eh alles Makulatur, denn wenn die Temperaturen kommen, die angesagt sind, dann ist es mit den letzten Schrecken endlich auch vorbei...

VG Wolfgang

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#9

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 18.01.2012 17:22
von WSW • 1.034 Beiträge

Es ist noch nicht vorbei! Heute trotz starken Windes immerhin 3 Weibchen von Chorthippus mollis, das sind eindeutige 2011er .
Außerdem eine Feldgrillen-Larve.

VG Wolfgang

Angefügte Bilder:
mollis.jpg
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#10

RE: Singende Chorthippus mollis & brunneus am 3. Jänner 2012

in Exkursionsberichte 20.01.2012 10:33
von Thomas Z-K • 738 Beiträge

Das gibt es doch nicht! In derselben Woche Dreizehenmöwe und Verkannter Grashüpfer im Donautal sehen zu können - und es wird ja wieder wärmer. Wo das noch hinführt.
Thomas

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